Unsere 5 Fragen an… gehen heute an Tobias. Er ist Kinderarzt und Kinderschutzmediziner und zusammen mit seiner Frau Anastasia Teil von #TeamMuttermilch. Er ist zwar kein offiziell ausgebildeter Stillberater (davon gibts auch immer noch nicht sehr viele), wir haben ihn aber trotzdem gefragt – und er hat geantwortet.
Stell dich bitte ganz kurz vor – was machst du so? Wie bist du dahin gekommen, wo du jetzt bist? Und: Bist du zufrieden mit der aktuellen Situation?
Hallo! Ich heiße Tobias Heimann, bin 35 Jahre alt und Kinderarzt und Kinderschutzmediziner.
Und gleichzeitig seit einiger Zeit Stillverfechter und -freund 🙂
Obwohl ich schon jahrelang als Kinderarzt arbeite und das Stillen ein sehr wichtiger Inhalt der kinderärztlichen Tätigkeit sein sollte, brauchte es erst meine Frau Anastasia, um mich auf das Thema aufmerksam zu machen. Dadurch, dass ich bei ihrer Weiterbildung zur Stillberaterin immer dabei war, um unsere ersten zwei Kinder zu betreuen, bin ich mit dem Thema in Berührung gekommen und halte inzwischen auch kinderärztliche Vorträge bei dem Institut, wo sie damals ihre Weiterbildung gemacht hat.
Letztes Jahr haben wir die Internetseite teammuttermilch.de gegründet, wo wir auf die häufigsten Stillfragen, die sich junge Mütter (oder Väter) stellen, eine Antwort geben wollen – möglichst locker und verständlich, trotzdem kompetent und auf wissenschaftlicher Evidenz beruhend.
Ich bin sehr zufrieden damit, mich neben der „normalen“ Arbeit mit dem Thema näher auseinanderzusetzen. Eine glückliche Stillzeit ist gesund für Mutter und Kind und sollte deshalb im Interesse jedes Kinderarztes liegen, was bisher leider so gar nicht der Regelfall ist.
Ich selbst führe keine Stillberatungen durch, schreibe aber viele der Texte auf unserer Homepage. Mir ist es wichtig, dass das Thema Stillen nicht nur in pastelligen Worten und supersanften Mutti-Tönen besprochen, sondern unbedingt auch etwas locker und modern angegangen werden soll. Dabei hat dann sowohl knallharte Evidenz – die es beim Thema Stillen naturgemäß nicht im Übermaß gibt – als auch „altes Hebammenwissen“ Platz, oder eben das, was Generationen von Kinderärzt*innen, Pfleger*innen und Eltern mit Erfolg getan haben.
Zudem denke ich, dass eine Stillberatung nicht absolutistisch immer nur auf Erfolg aus sein muss, oder zumindest, dass dieser Erfolg nicht immer „ausschließliches Stillen“ heißen sollte. Es sollte die Gesamtsituation einer Familie ganzheitlich betrachtet werden und da passt nicht immer noch der Stress mit hinein, den der Wunsch nach Stillerfolg manchmal mit sich bringen kann.
Welche drei Punkte würdest du einer Stillberaterin in Ausbildung ans Herz legen? Wie schätzt du die verschiedenen Ausbildungsformen und Wissensstände der Stillberatungsorganisationen ein?
Ich glaube man muss weder „vom Fach“, noch selber Mutter sein, um eine gute Stillberaterin zu werden. Aber beides hilft. Wichtig ist einerseits ein hohes Maß an Empathie, andererseits dass man sich gut einliest und weiterbildet, denn es gibt echt eine Menge Themen in der Stillberatung, die Detailwissen, Erfahrung und diagnostische Trennschärfe erfordern. Hier hilft es auf jeden Fall, medizinische Vorkenntnisse und vielleicht auch eigene Stillerfahrung zu haben.
Zu den verschiedenen Ausbildungszentren in Deutschland kann ich nicht viel sagen, da mir die genauen Inhalte nicht im Detail bekannt sind. Sehr kurze Lehrgänge, die nur ein paar Stunden Weiterbildung, die Lektüre eines Buches oder den Besuch einiger Stillgruppentreffen voraussetzen, scheinen mir persönlich etwas sehr wenig, um kompetente Stillberatung zu betreiben, aber ich will das auch nicht ausschließen. Die Weiterbildung an dem Institut, wo ich manchmal Vorträge halte, hat meines Erachtens ein sehr hohes Niveau, richtet sich aber auch nahezu ausschließlich an Menschen aus medizinischen Berufsgruppen.
Welche drei Tipps also? Versuch so empathisch wie möglich zu sein. Bilde dich weiter. Gib zu, wenn du etwas nicht weißt und verweise an entsprechende Expert*innen, wenn du unsicher bist.
Was ist deine Lieblingsfrage einer ratsuchenden Stillenden – und warum?
Keine Frage, aber vielleicht eine kleine Anekdote. Eine ärztliche Kollegin von mir hat schon sehr früh mit der Stillberatung angefangen, was ich damals noch irgendwie komisch fand. Jedenfalls berichtete sie von einer Mutter, die sich Sorgen machte, weil ihr Säugling scheinbar nie satt wurde – sie stillte ihn ausgiebig, um dann noch Muttermilch und Pre-Nahrung nachzufüttern. Danach spuckte es aber immer.
Die Kollegin fragte dann, wo sie ihm denn die Flasche gebe. Die Antwort war, dass das meist der Papa tue – er lege das Kind ins Bettchen oder in den Kinderwagen und reiche ihm die Flasche hin.
Meine Kollegin sagte dann:
„Wissen Sie was: Ich an Heiligabend.
An Heiligabend bin ich immer richtig überfressen. Es gibt Suppe und Ente und ein Kilo Pudding, dazu Wein und vielleicht auch ein Bier, und ich hatte ja auch schon den ganzen Tag über genascht und Waffeln gegessen und so weiter.
Und wenn das Abendessen und die Bescherung vorbei ist, dann falle ich auf’s Sofa in Rückenlage und bin völlig fertig. Kann nichts mehr essen, will eigentlich nur noch schlafen. Aber wissen Sie, was dann passiert?
Dann kommt mein Mann mit einer Pralinenpackung und steckt mir eine nach der anderen in den Mund. Und meinen Sie, die esse ich nicht, weil ich so voll bin?
Natürlich esse ich die.
Ich kann ja gar nicht anders, ich liege da auf dem Rücken und schlucke, Schwerkraft und so.
Und so ähnlich ist das mit ihrem Kind: Aus der Flasche kommt die Milch einfach rausgelaufen, dafür muss sich Ihr Kind überhaupt nicht anstrengen, das macht alles die Schwerkraft. Und dann ist es irgendwann völlig übervoll und spuckt. Ich glaube nicht, dass Ihr Kind nicht satt wird. Ich glaube, es kann einfach nicht anders.“
Obwohl ich damals mit dem Stillen nichts am Hut hatte, kommt mir diese Anekdote jedes Mal in den Kopf, wenn eine Mutter glaubt, sie hat nicht genug Milch 🙂
Was ist für deinen Alltag als Stillberaterin absolut unverzichtbar? Und natürlich vor allem: Warum ist es unverzichtbar
Bücher. Ich liebe sowieso Bücher und es gibt viele hervorragende Titel zum Thema Stillberatung – leider fast alle auf Englisch. Da steht Unmengen an evidenzbasiertem Fachwissen drin und gerade wenn es darum geht, schlaue Blogartikel zu schreiben, helfen die natürlich ungemein.
An deutscher Literatur kann ich vor allem das „Praxisbuch: Besondere Stillsituationen“ empfehlen und bei den englischen gefällt mir derzeit „Breastfeeding Answers“ von Nancy Mohrbacher am besten, das allerdings recht teuer ist.